Geschichte

1939
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1940
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1968
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1980
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1981
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HEUTE
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QUELLEN:
  • Demokratische Jugend am Werk, ProFilm Zürich, 1939
  • Bilder aus Der Schweizer Wandervogel von Fritz Baumann, 1966

Die Phase zwischen Kind und Erwachsenensein – die Jugend – kam als Begriff im Laufe der Industrialisierung auf. Der Fokus der Erziehung lag darauf, den jungen Menschen den richtigen Weg ins Erwachsenenleben zu ebnen. Während einst die Bauern und Hirten ihre harte körperliche Arbeit draussen verrichteten und ihre Freizeit mit einfacher Ruhe genossen, zogen die Menschen später in Städte und ihr Bewegungsraum verminderte sich. In der Freizeit traf man sich in Beizen oder ging ins Kino – der Amüsierbetrieb entstand.

Eine erste Gegenströmung zeichnete sich bei den Jungen anfangs des 20. Jahrhunderts ab, als sich die «Wandervögel» formierten und die Natur wieder für sich entdeckten. Weitere Jugendorganisationen wie der Schweizer Pfadfinderbund zogen nach, um sich der Freizeitgestaltung von jungen Menschen zu widmen. Mit der Gründung der Vereinigung Ferien und Freizeit für Jugendliche (VFF) 1925, entstand eine Organisation, die sich für das Recht auf Ferien von Lehrlingen und die Möglichkeit von Freizeitbeschäftigungen für Jugendliche einsetzte. Sie organisierte Skikurse und ermöglichte mit Feriengeld minderbemittelten Jugendlichen eine Reise.

Entfalten im Naturerlebnis mit Gleichgesinnten, Jungenfrohen war’s, was uns erfüllte. Sonne und Regen, Wolken, Wind und Wasserläufe, die Erde und auf ihr alles was spross und lebendig war, liebten wir. Vor Tag und Tau, wenn andere Leute noch schliefen, zogen wir los der Sonne entgegen. In der Wandervogel-Kluft, die Burschen in kurzen Hosen, Sandalen und Schillerkragen, die Mädchen im farbigen Kittel über weitem Jupe, bunte Kopftücher umgebunden.

Anna Stapfer-Vorbrodt in Der Schweizer Wandervogel, 1965 signet-bg Created with Sketch.
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QUELLEN:
  • Collage über Erhaltung guter Zukunft für unsere Jugend, Schweizer Filmwochenschau, 1940
  • Bilder aus dem Staatsarchiv Zürich

Die Geistige Landesverteidigung entstand als eine politisch-kulturelle Bewegung in der Schweiz während des 2. Weltkrieges und hatte bei den Jugendlichen zum Ziel sie zu guten Staatsbürgern zu erziehen. Um die Heimatliebe zu vertiefen und das nationale Bewusstsein zu fördern, wurden Exkursionen angeboten oder Staatsunterricht abgehalten. Während in Deutschland alle Jugendorganisationen in die Hitlerjugend eingegliedert wurden, verbot man in der Schweiz 1938 kommunistische Organisationen und 1940 auch linke Jugendorganisationen. Zum 650-jährigen Jubiläum der Eidgenossenschaft spielte sich 1941 eine Kundgebung der Jugend im Landesmuseum mit Volkshymnen, Ansprachen und einer Aufführung des Tellspiels ab. 10’000 Jugendliche waren anwesend, Erwachsene nur ausserhalb des Zauns zugelassen. Es galt, die Jugend für das Vaterland zu begeistern – durchaus auch mit propagandistischen Methoden.

Bei seinem 10-jährigen Jubiläum waren dem VFF bereits 65 Jugendgruppen angeschlossen. Der VFF rebellierte gegen den Drill für eine Staatsjugend und hielt sich vorerst politisch neutral. Erst 1956 schloss die Vereinigung einzelne Jugendorganisationen aus und verstiess gegen ihren Neutralitätsanspruch. Mit einem Fackelzug für die Einführung der AHV, der Veröffentlichung eines Postulats zum Jugendschutz am Arbeitsplatz oder einer Spendensammlung für die Kriegsflüchtlinge bewies der VFF sozialpolitisches Engagement.

Heute sind die Bemühungen um die seelische, geistige und gesundheitliche Festigung der Jugend im nachschulpflichtigen Alter dringender als je, indem gerade die Einflüsse, die der Mensch in den Entwicklungsjahren erfährt, entscheidende Bedeutung für die endgültige Formung der Persönlichkeit gewinnen, und die Persönlichkeit des angehenden Bürgers die Staatsführung von morgen bestimmt. Eine irregehende, haltlose Jugend bietet den Keimboden für verführerische Theorien.

Aus dem VFF Jahresbericht 1937 signet-bg Created with Sketch.
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QUELLEN:
  • Rundschau, Krawalle Zürich, 1968
  • Bilder aus dem Sozialarchiv Zürich

Beeinflusst durch die Flower-Power-Bewegung aus den USA und den europaweiten Studentenprotesten bekundete eine neue Generation Zürcher Jugendlicher ihren Willen zur politischen Mitbestimmung. Nach dem Jimi Hendrix-Konzert im Hallenstadion im Mai 1968 kam es zu Krawallen zwischen Jugendlichen und der Polizei, die in der Innenstadt bis in die Morgenstunden dauerten. Wenige Tage später entstand die FASS (Fortschrittliche Arbeiter, Schüler und Studenten) und forderte auf politischem Weg und auf der Strasse ein autonomes Jugendzentrum. Die Verhandlungen eskalierten Ende Juni 1968 beim Globuskrawall als die Polizei gegen 5000 jugendliche Demonstranten hart vorging. Persönlichkeiten aus Wissenschaft, Politik und Kultur u.a. Max Frisch kritisierten das Vorgehen der Polizei scharf und schrieben ihre Position im Zürcher Manifest nieder. Diese Arbeitsgruppe betrieb über längere Zeit ein Diskussionsforum.

Im Oktober 1970 kam es zur Eröffnung des Lindenhofbunkers. Dass die Räumlichkeiten als Jugendzentrum ungeeignet waren bezeugte ein Graffiti am Eingang: «Wir danken dem Stadtrat der uns grosszügiger Weise für jeden Jugendlichen der in der Stadt Zürich lebt 36cm2 Jugendhaus-Fläche zur Verfügung gestellt hat!» Nach 68 Tagen räumte die Polizei den Bunker, weil keine Einigung im Umgang mit Drogen, dem Zutritt von Minderjährigen und den Übernachtungen im Bunker gefunden werden konnte. Das Drahtschmidli und später das Schindlergut rückten in den Fokus für die Forderung nach einem autonomen Jugendzentrum. Die Wertvorstellungen der 68er-Bewegung konnten oft erst später umgesetzt werden – so auch ein offener Betrieb in der Jugendarbeit.

Einen kulturellen Konflikt lösen weder Prügel noch Verbote noch Besänftigung durch gönnerhafte Angebote. «Wohltätigkeit ist das Ersaufen des Rechts im Mistloch der Gnade» (Pestalozzi). Unterdrückung der Konflikte treibt die Jugend auf die Barrikaden.

Auszug aus dem Zürcher Manifest, 1968 signet-bg Created with Sketch.
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QUELLEN:
  • Blickpunkt, Zürcher Jugendhaus-Saga, 1980
  • Unter Einschluss der Öffentlichkeit, 1960
  • Bilder aus «Wir bauen das Schweizerjugendhaus» von Otto Binder, 1939 und von Karlheinz Weinberger, 1954

Der VFF engagierte sich beim Haus der Jugend an der Landesausstellung 1939 in der Hoffnung, die Stadt würde darin erkennen, wie wichtig ein Jugendhaus für Zürich war. Doch der Ausstellungspavillon diente den Jugendorganisationen einzig für die Vorstellung ihrer Tätigkeiten und war nach der Landi kein Thema mehr. Nach dem Vorbild aus dem Ausland entstanden Dancings, die bei Jugendlichen sehr beliebt waren. Sie konsumierten öfters süsse Schnäpse, was zu einer Kampagne gegen den Alkoholkonsum Jugendlicher führte. Der Zürcher Frauenverein und der VFF boten darauf hin alkoholfreie Dancings im Karl der Grosse an. Aus dieser Zusammenarbeit entstand die Idee für ein zentrales Jugendhaus und die Gründung des Vereins Zürcher Jugendhaus (VZJ). Ab 1951 organisierte der VZJ grosse Jugendfeste mit dem Ziel, Geld für ein Jugendhaus zu sammeln.

Der VZJ wollte einen attraktiven Standort für das Jugendhaus und schlug einen Neubau an zentraler Lage vor. Über Jahre konnte mit der Stadt Zürich keine Einigung gefunden werden. Erst das Aufkommen der Halbstarken – rebellische Jugendliche, die Jeans trugen, auf Motorrädern durch die Gegend fuhren und Rock’n’Roll liebten – erzeugte Druck auf den Zürcher Stadtrat. Mit dem Provisorium auf dem Drahtschmidli-Areal konnte 1961 ein erster Jugendhausbetrieb mitten in der Stadt aufgenommen werden. Mit der 1968er-Bewegung wurde die Debatte neu entfacht und ein grösseres und autonomeres Jugendhaus gefordert.

Ob man sich nicht über weniger Schundliteraturleser, über weniger Nachtbuben und andere «Verlorene» beklagen müsste, wenn man den jungen Leuten in vermehrtem Masse zu richtiger Freizeitbeschäftigung verhelfen würde?

Wir bauen das Schweizerjugendhaus von Otto Binder, 1939 signet-bg Created with Sketch.
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QUELLEN:
  • Züri brännt, Videoladen Zürich, 1981
  • Tagesschau, Jugend-Demonstrationen, 1981

Eine Bewegung aus Aktionsgruppen, Sympathisanten loser Jugendlichen begann sich im Sommer 1980 gegen die städtische Kulturpolitik zu wehren, besonders gegen einen Kredit für das Opernhaus und fordert Räume in der Roten Fabrik oder ein autonomes Jugendzentrum. Die Opernhauskrawalle im Mai 1980 zogen Strassenschlachten mit der Polizei nach sich. Bei Vollversammlungen wurde mit der Stadt verhandelt, bei Demonstrationen neue Ultimaten für Räume oder den Freispruch Verhafteter gestellt.

Im Juni wurde das Autonome Jugendzentrum (AJZ) an der Limmatstrasse eingeweiht, aber nach einer Razzia im September wieder geschlossen. Die Bewegung gewann an Sympathisanten, an die 8’000 nahmen zwei Wochen später an einer bewilligten Demonstration teil. Im Oktober teilte sich die Bewegung in einen militanten und einen gemässigten Teil, doch beide Kreise hatten vorerst keinen Erfolg mit ihren Forderungen für die Wiederöffnung des AJZ.

Erst im April 1981 kam es zu einer Wiederöffnung des AJZ und der Betrieb konnte ein Jahr aufrecht gehalten werden, bevor die Trägerschaft aufgab. Die Polizei räumte das Gelände und das AJZ wurde abgebrochen. An der Urne wurde später für den Betrieb des Jugendhauses Drahtschmidli und 1988 für die Rote Fabrik grünes Licht gegeben. Bei den Jugendlichen verbreitete sich auch immer mehr die Hip-Hop-Kultur aus den USA mit Graffitis, Breakdance und Rap.

Mit der Einführung des Grundkurses zum Animator begann 1975 die Professionalisierung der Jugendarbeit. 1977 gab es erstmalig das Angebot einer Jugendarbeiter-Ausbildung. Heute bieten Universitäten wie Fachhochschulen Aus- und Weiterbildungen an und für jedes Spezialgebiet lässt sich ein Diplom abschliessen.

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QUELLEN:
  • Konzertaufnahmen und -bilder von wemean
  • Bilder der Jugend von heute aus Privatarchiven und von Julia Furer

Im Mai 1991 begann mit der Besetzung des Wohlgroth-Areals die grösste Schweizer Hausbesetzung. Das Wohlgroth war für viele Jugendliche Wohn- und Kulturraum zugleich. Sie nahmen diese Räume mitten in der Stadt, organisierten sich selber, führten einen nicht-kommerziellen Kulturbetrieb und übernahmen die staatlich eher vernachlässigten Aufgaben wie eine Frauennotschlafstelle oder einen Fixerraum. Trotz Demonstrationen und vielen Aktionen kam es im November 1993 zur gewaltsamen Räumung.

1968, 1980 oder 1993 – seit drei Jahrzehnten fordert eine junge Generation mehr Freiraum. Heute übernehmen digitale Treffpunkte viele Aufgaben, die Jugendtreffs einst hatten. Es steht offen, ob hier ein neuer Raum entsteht oder die neuen Medien nur ein zusätzlicher Kommunikationsweg bleiben. Heute gibt es Zugang zu Informationen aus aller Welt, alles ist abstrakter geworden und es braucht mehr Wissen, um sich aufzulehnen. Wo früher direkt vor der Tür der Reichen demonstriert und mehr Lohn gefordert wurde, muss, wer heute etwas verändern will, über die EU, die Menschenrechtskommission, den Hauptsitz der Firma im Irgendwo gehen. Die Abhängigkeiten in der globalisierten Welt machen es schwierig, die verschiedenen Zusammenhänge zu erkennen.

Es existieren mehr kleine Bewegungen und Szenen. Eine der letzten Jugendbewegungen war die Technoszene, die in Zürich anfangs der 1990er-Jahre mit vielen Technopartys in Clubs und der Streetparade auflebte. Heute werden fortlaufend neue Generationenbegriffe definiert. Kaum kommt ein neues Bedürfnis oder Problem auf, wird es häufig kommerzialisiert. Wogegen gilt es noch zu rebellieren? Die Mutter trägt dieselben Kleider wie die Tochter. Alles ist fliessender geworden. Eine Masse zu bewegen ist schwierig geworden. Aber die vielen kleinen Ich-AGs haben den Vorteil, dass sie spontan auf die Veränderungen in der Gesellschaft reagieren können. Sie sind flexibler und anpassungsfähiger als vorgängige Generationen und streben beruflich und privat nach Selbstverwirklichung.

1992 wurde der VFF in OKAJ umbenannt und galt von nun an als Organisation und Kontaktstelle aller Jugendvereinigungen in Zürich. Mittlerweile lautet der Name okaj zürich – Kantonale Kinder- und Jugendförderung und hat sich mit der gesellschaftlichen Entwicklung den veränderten Bedürfnissen der Jugendlichen angepasst. Der Dachverband konzipiert Weiterbildungen oder betreibt aktives Lobbying für die kommunale und kantonale Kinder- und Jugendförderung.

Heute drohen Jugendszenen in der Optionenvielfalt des täglichen Supermarkts der Stile unterzugehen. Die Reibungsflächen sind weggeschliffen. Alles scheint möglich, alles ist verfügbar, alles ist käuflich. Sind Jugendszenen nur noch schillernde Oberfläche? Wann ist die Techno-Party zu Ende? Braucht es nicht wieder eine protestierende Jugend?

a walk on the wild side, Stapferhaus Lenzburg, 1997 signet-bg Created with Sketch.